Begriffsdefinition
Aus § 38 StPO (alt, neu: § 48) ergibt sich die richtige Bezeichnung des Klienten:
a) Schöffen- und Geschworenenverfahren
- Verdächtiger (während Vorerhebungen - auch bei Haft)
- Beschuldigter (nach Einbringung der Anklageschrift oder dem Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung)
- Angeklagter (nach Anordnung der Hauptverhandlung)
b) Einzelrichter (BG und LG)
- Beschuldigter in 1.Instanz
- Angeklagter im Rechtsmittelverfahren
Nicht alle Verteidiger kennen diese unterschiedlichen Bezeichnungen - für den Richter könnte dies aber ein Hinweis sein, dass er sich in prozessualer Hinsicht mehr erlauben darf, als bei einem Profi...
1. Klientengespräch
Richtig sinnvoll ist ein Gespräch erst, wenn man eine Aktenabschrift hat oder sich zumindest einlesen konnte. Im ersten Gespräch sollte die Verschuldensfrage
geklärt werden. Wichtig und meistens möglich ist es vom Klienten die Wahrheit zu erfahren.
In der Folge muß die Möglichkeit einer Enthaftung geprüft werden (§ 180 StPO), die aber nur bei Erfolgsaussicht, dann aber mit Elan, beantragt werden sollte.
Haftprüfungsverhandlungen
Der Verteidiger sitzt rechts (links vom Richter aus gesehen), der Staatsanwalt (Privatankläger) und der Privatbeteiligtenvertreter sitzen gegenüber, der Beschuldigte (Angeklagte) hat sich in
die erste Reihe der Zuschauerbank oder auf die Anklagebank (Bank vor dem Staatsanwalt) zu setzen. Sind mehrere Beschudigte (Angeklagte) und Bänke vorhanden, können einige auch vor dem Verteidiger platziert
werden.
Die erste Haftprüfungsverhandlung muß 14 Tage ab Festnahme
erfolgen (§ 181 Abs 2 Z 1 StPO), sonst Enthaftung (Ausnahmen). Bei der Haftprüfungsverhandlung ist der U-Richter, der Staatsanwalt, der Häftling und der (Pflicht-)Verteidiger anwesend, sonstige Personen dürfen nicht anwesend sein (Ausnahme Jugentliche).
Achtung: Haftprüfungsverhandlungen dürfen (trotz ihrer Einfachheit) nicht von RAA mit kleiner LU
durchgeführt werden (absolute Anwaltspflicht, § 41 Abs 1 Z 3 StPO, § 15 RAO). Dies wird in Wien (auf Weisung des LG Präsidenten) streng kontrolliert
und führt bei Nichtbeachtung zur (dem Präsidenten meldepflichtigen) Vertagung! Der RA und der RAA sind disziplinär
verantwortlich. In Notlagen sollte der Richter vorab informiert werden, er könnte dann z.B. vertagen.
Inhalt der Haftprüfungsverhandlung ist ausschließlich die Frage, ob ein Haftgrund vorliegt. Die Schuldfrage ist nicht
zu erörtern. Sieht man Chancen für eine Enthaftung sollte man mit dem Richter Kontakt aufnehmen und dies besprechen (unbescholten, Wohnsitz, Arbeitsplatz, Therapieplatz bei Drogen, Kaution (nur Fluchtgefahr), Paßabgabe).
Enthaftungen werden nur in Ausnahmefällen in der HPVH entschieden idR ist dies vorher ausgemacht!
Ist ein MD für eine sofortige Enthaftung noch nicht geeignet (zB es müssen noch Zeugen einvernommen werden, die nicht beeinflusst können werden sollen), kann man auch mit dem Richter und dem StA (idR nicht dem in der HPVH anwesenden, sondern dem zuständigen) eine spätere Enthaftung (z.B. wenn bestimmte Auflagen erfüllt wurden) vereinbaren. Dann stellt man (jederzeit) einen Antrag auf Enthaftung, der - wenn die StA zustimmt - ohne weitere HPVH bewilligt werden kann.
In der Praxis läuft eine Haftprüfungsverhandlung wie folgt ab (§ 182 StPO):
- Der U-Richter gibt dem Klienten die Möglichkeit zur Stellungnahme.
- Der StA beantragt die Fortsetzung
der U-Haft. Oft handelt es sich beim einschreitenden Staatsanwalt nicht um den zuständigen Staatsanwalt, sondern nur um einen Vertreter, der den Akt nicht gerade “auswendig” kennt.
- Der Rechtsanwalt kann ein Vorbringen zu der Frage des Nichtvorliegens von Haftgründen erstatten und die Enthaftung
, allenfalls unter Anwendung “gelinderer Mittel” (§ 180 Abs 5 StPO) beantragen.
- Der U-Richter hebt entweder die U-Haft auf (dies führt zur sofortigen Enthaftung - auch gegen den Willen der Staatsanwaltschaft!), oder verkündet beschlußmäßig die Fortsetzung
der U-Haft (oft liegt der Beschluss schon ausgedruckt vor und wird übergeben).
Gegen diesen Beschluss steht dem Beschuldigten und dem Staatsanwalt die binnen drei Tagen nach Eröffnung des Beschlusses einzubringende Beschwerde
an den Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 182 Abs 4 StPO). Das Rechtsmittel hat aber keine aufschiebende Wirkung. Achtung: Die Frist von 3 Tagen läuft ab
Verkündung und nicht ab Zustellung
des Beschlusses! Die Ausführung einer Beschwerde ist nur dann sinnvoll, wenn eine realistische Chance zur Enthaftung besteht, da andernfalls der Verfahrensverlauf verzögert wird, was nicht im Interesse des Mandanten liegt. Die Erfolgsquote ist sehr niedrig. Der Gerichtshof kann auch - und zwar vor dem eigentlichen Beweisverfahren - zu einer für den MD ungünstigen Rechtsansicht kommen... (“Im Falle einer Verurteilung wird mit einer empfindlichen / zumindest teilbedingten Freiheitsstrafe zu rechnen sein.”).
In der Haftprüfungsverhandlung kann auf Einbringung einer Beschwerde verzichtet werden. Achtung: Dieser Verzicht sollte mit dem Klienten vorher besprochen
werden und die Entscheidung schriftlich festgehalten werden (vom Klienten unterschriebene Mitschrift oder zumindest ein Aktenvermerk), jedenfalls dann, wenn der MD den Eindruck macht, dass er mit der Verlängerung nicht einverstanden ist - gerade bei Verfahrenshilfen! IdR wird auf RM verzichtet.
Für den Fall, dass die U-Haft fortgesetzt wird, findet nach einem Monat die nächste Haftprüfungsverhandlung statt (§ 181 Abs 2 Z 2 StPO), die so wie oben geschildert abläuft.
Nach der zweiten Haftprüfungsverhandlung (nach weiteren zwei Monaten, § 181 Abs 1 Z 3) kann auf die Durchführung einer weiteren Haftprüfungsverhandlung verzichtet
werden (§ 181 Abs 5 StPO). Auch dieser Verzicht sollte vom Klienten schriftlich bestätigt werden.
Haftfristen: Die Haftfrist beträgt bei Verhängung der Untersuchungshaft 14 Tage ab Festnahme des Beschuldigten, bei erstmaliger Fortsetzung der Untersuchungshaft einen Monat
ab Beschlussfassung und bei weiterer Fortsetzung der Untersuchungshaft zwei Monate ab Beschlussfassung.
Prozeßvorbereitung, Beweisanträge
Im Rahmen der weiteren Prozeßvorbereitung ist es wichtig, laufend im Kontakt mit dem Mandanten (den Verwandten) und dem U-Richter
zu bleiben. Lange U-Haft ohne Aktion des RA ist ungünstig. Denkbar schlecht ist eine Enthaftung durch den U-Richter, von der der RA nichts weiß und nachfragenden Verwandten (unwissentlich) falsche Auskünfte erteilt...
Anders als in Zivilsachen ist der Kontakt mit dem Richter nicht unüblich oder unerwünscht. So können etwa dem U-Richter fehlende (entlastende) Informationen geliefert
werden, die - im Interesse des Mandanten - zu einer Beschleunigung des Verfahrens
beitragen (z.B. ausländisches Leumundszeugnis). Man kann offen fragen, was man zur Enthaftung beitragen kann (gelindere Mittel: Paß, Meldepflicht, Therapieplatz). Man kann auch die Höhe einer Kaution abstimmen (z.B. Schadenssumme), sollte aber abklären, ob diese vom Mandanten oder den Verwandten geleitstet werden kann. Sinnvoll ist das, wenn z.B. nur
Fluchtgefahr vorliegt. Verdunklungsgefahr fällt idR nach zwei Monaten weg, wenn alle Zeugen vernommen wurden. Tatbegehungsgefahr ist am schwersten zu bekämpfen.
Beweisanträge können jederzeit gestellt werden, müssen aber dem Gegner (RA oder StA) spätestens drei Tage vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt
werden, damit dieser nicht überrascht und einer entsprechenden Vorbereitungszeit beraubt wird (§ 222 Abs 2 StPO). Der richtige Zeitpunkt für das Stellen von Beweisanträgen ist von der verfolgten Prozeßstrategie abhängig. Beweisanträge im Stadium der Voruntersuchung führen oft zu einer Verfahrensverlängerung, da der U-Richter dies Beweise einholen kann bzw. muß.
Beweisanträge sollten jedenfalls mit dem (Untersuchungs- bzw. Verhandlungs-) Richter abgestimmt werden
(vgl. Beweisbeschluß im Zivilverfahren). Spätestens 4-8 Wochen vor der Hauptverhandlung sollten die letzten Beweisanträge gestellt werden.
Im Stadium der Vorerhebung und -untersuchung hat man kein Recht, bei der Befragung dabei zu sein ... sind Zeugen daher nicht für eine Enthaftung nützlich, beantragt man diese besser erst für die HV, damit man
keine Aussage im Akt hat, die man nicht beeinflussen konnte.
Auf richtige Formulierung
achten (Beweismittel, Beweisthema) und beachten, daß den Strafrichter auch eine gewisse Wahrheitserforschungspflicht trifft (“...beantrage den Lokalbesitzer des Lokales xy in 1010 Wien, Name des Besitzers ist mir nicht bekannt).
idF 08/06/21 - - www.konzipient.com - www.konzipient.at © Mag. Clemens Binder-Krieglstein |