Die Versetzung in den Anklagestand
Ist der Sachverhalt ausreichend geklärt, gibt der U-Richter den Akt zur StA zur “Endantragstellung”, der Staatsanwalt
bringt dann die Anklageschrift (Schöffengericht, beim Einzelrichter BG oder LG: Antrag auf Bestrafung) beim U-Richter
ein (§ 208 Abs 1 StPO). Die Akten können aber dort auch mehrere Monate liegen - bei U-Haft nicht aus den Augen verlieren - wenn Dauer der U-Haft nicht mehr in Relation zur zu erwartenden Strafe, dann über Enthaftung sprechen (P.S: auch eine Haftentschädigung wird nur sehr zurückhaltend bezahlt). Ist der
Klient nicht entsprechend vorbereitet, kann die Überreichung der Anklageschrift an ihn (Zustellung binnen 24 Stunden direkt an den Klienten) einen “Schock”
auslösen. Teilweise glaubten (ausländische) Mandanten sogar, sie wurden bereits verurteilt. Ist man im Kontakt mit dem U-Richter, kann man sich die Anklageschrift besorgen, bevor sie dem
Klienten übergeben wird und sie mit ihm durchbesprechen. Die Anklageschrift gibt die Prozeßlinie der StA
wieder. Nun steht auch der Hauptverhandlungsrichter fest. Inhaftierte wissen oft gut über die von bestimmten Richtern verhängten Strafen Bescheid - der RA sollte sich hier ebenfalls auskennen.
Die Anklageschrift fasst den Akt oft sehr gut - richtig und vollständig - zusammen. Erhält man den Akt bereits mit dieser, ist es hilfreich, sich zuerst dieses Schriftstück durchzulesen.
Einspruch
Gegen die Anklageschrift kann innerhalb einer Frist von 14 Tagen Einspruch erhoben werden (§ 209 Abs 2 StPO). Von einem Einspruch sollte aber nur dann
Gebrauch gemacht werden, wenn tatsächlich die Anklageschrift in formeller oder materieller Sicht grob unrichtig ist und eine realistische Aussicht darauf besteht, daß das
Verfahren vom OLG eingestellt wird (§ 213 StPO).
Anderenfalls sollte man auf einen Einspruch verzichten, da er das Verfahren weiter verzögert und oft zu einer negativen OLG-Entscheidung führt, die faktisch Präjudizwirkung für den Erstrichter
hat (obwohl das OLG kein Beweisverfahren
durchgeführt hat). Zwar ist die Entscheidung des OLG in der Art zu begründen, daß dadurch der Entscheidung des erkennenden Gerichtes nicht vorgegriffen wird (§ 215 Abs 1 StPO), in der Praxis läßt sich dies aber nicht leicht abgrenzen. Auch der
Verzicht auf diesen Einspruch sollte vom Klienten bestätigt werden.
Anklage rechtskräftig
Nun sind folgende Punkte zu beachten:
a) Termin für die Hauptverhandlung (HV) beim Verhandlungsrichter urgieren und mit diesem abstimmen (nur möglich, wenn man regelmäßigen Kontakt hält und gleich nach Übergabe des Aktes
an den HV-Richter mit diesem reden kann). Nach Festsetzung eines Termines ist kaum mehr eine Vertagung wegen Kollision zu erreichen, insbesondere bei Schöffen- oder Geschworenenverfahren.
b) Strategie für Hauptverhandlung zurechtlegen. Die Schuldfrage spielt nur eine untergeordnete Rolle und ist ohnehin meist schon entschieden. Wichtiger ist es sich auf das
Strafausmaß zu konzentrieren und Vorbereitungen dafür zu treffen, daß einzelne Milderungsgründe (§ 34 StGB) angewendet werden können. Es könnten z.B. folgende Massnahmen gesetzt werden:
- Therapieplatz bei Süchtigen besorgen.
- Arbeitsmöglichkeiten und gute Familienkontakte darstellen,
- Wohnungsmöglichkeiten eruieren,
- mit der Bewährungshilfe Kontakt aufnehmen,
- Arztbesuche beim Klienten.
Klienten auf die Verhandlung vorbereiten: Wichtig ist eine homogene Verantwortung
– möglichst wenig Widersprüche zum bisherigen Akteninhalt - auch, wenn dieser in unerheblichen Punkten (z.B. 3 oder 5 Ohrfeigen?) unrichtig ist. Erfahrungsgemäß möchte der Klient in der Verhandlung nicht allzuviel sagen, sodaß mit ihm erörtert werden kann, was der Richter fragen wird um die Verhandlung kurz zu halten. Der
Verhandlungsablauf sollte einmal durchgespielt werden. Wichtig ist, daß der Klient seine Personalien (Name der Eltern, Sorgepflicht, Adresse) klar angeben
kann. Es macht einen schlechten Eindruck, wenn der Klient auf Befragen durch den Richter nicht angeben kann wie viele Vorstrafen er hat (Datum, Delikt), wer seine Eltern sind, wann er zuletzt gearbeitet hat, etc. (§ 240 StPO). Vorstrafen “herunterzuspielen” bzw. zu behaupten man hätte das Delikt in Wahrheit nicht begangen und wäre nur zu lasch oder rechtsunkundig gewesen um einen Einspruch zu erheben, kommt beim Richter nicht gut an. Auch Strafverfügungen zählen. Ebensowenig die Angabe eines unglaubwürdigen Einkommens. Ungewöhnlich hohe Belastungen (z.B. hohe Miete im Pensionistenheim) sollten durch Urkunden belegt werden. Sie vermindern bei Geldstrafen die Höhe des Tagessatzes.
Zu Beginn der Vernehmung hat sich der Beschuldigte zu verantworten (“Schuldig”, oder “Nicht schuldig”), der Richter sollte respektvoll mit “Herr Rat”
angesprochen werden. Richter erwarten, daß RA ihre Klienten “im Griff” haben und diesen zu einer klaren Verantwortung anleiten.
Hat der Klient vor der Polizei ein Geständnis abgelegt, könnte der Richter in Erwartung einer leichten Verhandlung keine Zeugenladungen ausschicken und die VH nur für kurze Zeit anberaumen.
Rät man in diesen Fällen den Klienten sich “nicht schuldig” zu bekennen, ist es zweckmässig den Richter rechtzeitig
(z.B. Schriftsatz mit Beweisanträgen) davon zu verständigen. Dies erspart nicht nur dem Richter, sondern vielleicht auch dem Klienten unliebsame Überraschungen.
Dem Mandaten (und den Verwandten) sollte klar gemacht werden, dass sie keine Gerichtsshow
a la “L.A. Law” erwarten dürfen. “Einspruch” und Besprechungen im Richterzimmer während der Verhandlung sind bei uns nicht üblich.
plea bargaining - Prozeßvergleich / Aushandeln der Strafe
In den Vereinigten Staaten von Amerika wird ein hoher Anteil von Verfahren durch Vereinbarungen zwischen Staatsanwalt und Verteidiger verglichen
- “plea bargaining” (The Legal System of the United States of America, in Redden, New York, U.S.A. 1984).
Solche Vereinbarungen sind in Österreich zwar nicht vorgesehen, aber auch bei uns ist ein (Teil-) Geständnis ein wichtiger Milderungsgrund.
Wenn der MD nicht schon ein Geständis zu Protokoll gegeben hat, dann kann man den Richter informieren, falls ein solches zu erwarten ist. Er kann dann die VH entsprechend (kürzer oder gar mit weniger
Zeugen) planen. Umgekehrt ist ein Widerruf eines Geständnisses rechtzeitig anzukündigen, damit ich der Richter darauf einstellen kann.
Ist der Sachverhalt unklar und hängt er von der richterlichen Beweiswürdigung ab, muss zuerst der Verteidiger und dann der Mandant eine schwierige Entscheidung treffen: Soll er
gestehen oder leugnen? Manche Richter sind bereit in diesen Fällen besonders milde vorzugehen - denn wer freiwillig gesteht, auch wenn er nicht (leicht) überführt werden kann, verdient dies auch.
Auch wenn die Rolle des Staatsanwälte nicht so gewichtig ist wie in anderen Staaten, muß auch der Staatsanwalt das Urteil akzeptieren.
Denn ein mildes Urteil, gegen das der StA beruft, kann eine weitaus strengere Berufungsentscheidung zur Folge haben.
Achtung: 11Os77/04 - allzu plump sollte man nicht vorgehen:
“Eine Absprache zwischen Richter und Verteidiger über zahlenmäßig determinierte Auswirkungen des Aussageverhaltens des Angeklagten auf die über diesen zu verhängende Strafe, ... ist schon wegen des
ersichtlichen Verstoßes gegen § 202 erster und zweiter Fall StPO, vor allem aber wegen des eklatanten Widerspruches zu den tragenden Grundprinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechtes, namentlich jenem
zur - ein Kontrahieren des Gerichtes mit (mutmaßlichen) Rechtsbrechern ausschließenden - Erforschung der materiellen Wahrheit, prinzipiell abzulehnen und kann die Beteiligten disziplinärer (§ 57 RDG) und
strafrechtlicher Verantwortlichkeit (§ 302 StGB) aussetzen.”
Hauptverhandlung (§§ 239 ff StPO)
a) Staatsanwalt trägt die Anklage vor (§ 244 Abs 1 StPO)
Der StA kann überdies in der HV die Anklage (mündlich) ausdehnen, sich die Verfolgung neu hervorgekommener Taten vorbehalten und einen (vergessenen) Antrag auf Widerruf einer bedingten Vorstrafe
stellen (§ 263 StPO). Dehnt das Gericht die Verhandlung und das Urteil nicht auf die neuen Taten aus, kann es dem Ankläger im Urteil die selbständige Verfolgung dieser Taten vorbehalten
oder die VH vertagen. Unterläßt der Ankläger die Ausdehnung (“Verschweigung”) oder erkennt das Gericht im (von der StA unangefochtenen) Urteil nicht über die neue Tat,
erlischt das Verfolgungsrecht.
b) Verteidiger erwidert mit einer Gegenäußerung, dem Eröffnungsplädoyer (§ 244 Abs 3 StPO)
Dies lautet in der Regel wie folgt: ”Die Verantwortung wird sein ...; Mein Klient bekennt sich ... schuldig, er ist geständig; das Beweisverfahren wird ergeben, daß ...; für den Klienten wird sprechen, daß
...”
Achtung: Als Grundsatz gilt: Je komplexer der Sachverhalt, desto kürzer die Gegenäußerung. Selten angebracht sind Rechtsausführungen,
insbesondere ein Vortrag über neueste Judikatur und Lehrmeinung. Diese Ausführungen beruhigen den MD und sind daher sinnvoll. Bei einem Geschworenenverfahren kann man bereits jetzt beginnen um jeden einzelnen
Geschworenen zu kämpfen.
Grundsätzlich sollte der Verteidiger an der HV ordentlich teilnehmen, damit auch der MD und die Familie das Gefühl hat, dass er gut vertritt. Viele schätzen eine Konfliktverteidigung, bei der man den
Richter offen attakiert. Hier muss man aber materielles und formelles Strafrecht perfekt (Gesetz und Entscheidungen) können, denn andernfalls schadet man dem Mandanten nur.
Meist ist jedoch eine Konsensualverteidigung
der für den MD bessere Weg. Hier muss man sehr viel Sensibilität und Erfahrung haben um die Mimik des Richters und des StA richtig deuten zu können. Zwischen den Zeilen zeichnet sich dann zB ein Freispruch oder ein mildes Urteil ab, das man nicht durch einen weiteren Beweisantrag gefährden sollte. Hier sollten man schon zuvor in Erfahrung gebracht haben, was der StA bereits ist zu akzeptieren ... denn geht die StA bei einem “zu” milden Urteil in Berufung, wird die Strafe idR - oft deutlich!” strenger ausfallen.
c) Vernehmung des Angeklagten (§ 245 StPO)
Die Reihenfolge der Befragungen erfolgt entgegen dem Uhrzeigersinn: Richter, Staatsanwalt, Privatbeteiligtenvertreter, Verteidiger. Je nach Verhandlungsstil des Richters (und Art und Tonfall des Fragenden)
sind jedoch Zwischenfragen möglich. Der Angeklagte soll eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes geben, dann werden vom Richter und vom Staatsanwalt gezielte Fragen gestellt.
Achtung: Es kommt vor, daß der Klient die vorher erarbeitete Verantwortung verläßt (und z.B. ein Geständnis ablegt). In dieser Situation hat der
Verteidiger keine Möglichkeit
korrigierend einzugreifen. Der aus den amerikanischen Gerichtsfilmen bekannte “Einspruch” (gegen unzulässige Fragen) ist in der österreichischen Strafprozeßordnung fremd. Eine Möglichkeit einzugreifen besteht aber darin den
Richter oder Staatsanwalt bei seiner Fragestellung zu unterbrechen
und darauf hinzuweisen, daß es sich bei der gestellten Frage um eine Suggestiv- oder Fangfrage handelt, die nicht zuzulassen ist (§§ 167 3. Satz, 200 StPO). Dies verhilft dem Klienten zu einer kurzen Nachdenkpause, selbst wenn alle Beteiligten wissen, daß die Frage zulässig war. Außerdem merkt ein (intelligenter) Klient, daß dieser Frage eine große Bedeutung zukommt und er vorsichtig antworten sollte.
Achtung: Dieses Vorgehen sollte sehr sparsam
eingesetzt werden, da der Verhandlungsrichter nicht nur verärgert werden kann, sondern auch mit Ermahnung, Abmahnung, Entziehung des Wortes, Aufforderung an die Partei einen anderen Vertreter zu bestellen und einer
Disziplinaranzeige an die Standesbehörde (§ 233 StPO) reagieren könnte.
d) Eröffnung des Beweisverfahrens (§ 246 StPO)
Der sogenannten “Petrocelli-Effekt”, das “Knacken” eines Zeugen, kommt selbst im Leben eines erfolgreichen Strafverteidigers äußerst selten
vor. Selbst wenn man sich sicher ist, daß der Zeuge die Unwahrheit sagt, ist davon abzuraten oft und oft dieselbe Frage zu stellen (“Haben Sie den Angeklagten wirklich am Tatort gesehen?” - “Ja!”), da dies dazu führt, daß im Protokoll mehrmals diese Aussage wiederholt wird. Das Berufungsgericht mißt wiederholten Antworten oft eine höhere Beweiskraft zu. Überspitzt könnte man sagen “Frage nur, wenn Du weißt, daß der Gefragte darauf eine positive Antwort für Deinen MD geben wird.”.
Auf gute Protokollierung achten
(schreibt ein Rechtspraktikant in Langschrift?) Nicht zu schnell reden und (auch intelligente) Zeugen in einfachen Sätzen befragen. Nach einer entscheidenden Aussage kann man sich das Protokoll (noch in Anwesenheit des Vernommenen)
vorlesen lassen (§ 71 Abs StPO). Es ist auch möglich eine (kostenpflichtige) stenographische Aufzeichnung oder (bei mangelnder Fähigkeit der Schriftführers) eine Tonbandaufzeichnung
zu beantragen (§ 71 Abs 4 StPO).
Auch wenn dies bei der Staatsanwaltschaft manchmal akzeptiert wird, müssen Beweisanträge StPO-konform (Thema, Relevanz) gestellt werden.
e) Schlußvorträge
Zuletzt erstatten der Staatsanwaltes, der Privatbeteiligtenvertreter und der Verteidiger
(sowie der Angeklagte, der sich den Worten des Verteidigers anschließen sollte, oder im Falle eines Geständnisses (nochmals) beteuern kann, daß es ihm leid tut) die Schlußvorträge (§ 255 StPO). Der Verteidiger sollte in seinem Plädoyer vor allem zur Frage des
Strafausmaßes Bezug nehmen und jene Punkte herausgreifen, die in der Vergangenheit, als auch in der Zukunft für den Angeklagten sprechen. Milderungsgründe
sind herausarbeiten und ggf. eine positive Zukunftsprognose für einen Freispruch abgeben. Tipp: Die letzten Sätze sollten gut sitzen
- sie bleiben am ehesten im Gedächtnis “hängen”. Nicht unterschätzen: Manchmal entscheiden Richter erst unmittelbar (!) vor der Urteilsverkündung ... Am besten, man bleibt man selbst und vertritt seine Meinung - das spürt das Gericht und es “kommt am besten rüber”. Ist man nicht von der Unschuld des MD überzeugt, mit diesem ein Geständnis besprechen, denn dieses sollte vor einer drückenden Beweislage abgelegt werden.
Eine Schadenswiedergutmachung in der HV und die (angekündigte) Vorlage einer Therapieplatzzusage* (Grüner Kreis, PASS, Schweitzer Haus) sind wesentliche Boni für den MD.
* Kann MD selbst aus der U-Haft oder von draussen in die Wege leiten, oder man ersucht einen Mitarbeiter dieser Einrichtungen, den MD zu besuchen und die Chancen für einen Platz abzusprechen. Bei Drogendelikten
ist dies sehr wichtig, jedoch dann, wenn der MD in seinen ersten Einvernahmen angegeben hat, keine Drogen zu nehmen etwas schwierig (ausser, man kann ein psychische Abhängigkeit nach einer physischen darlegen).
f) Urteilsverkündung (§ 268 StPO)
Aufstehen und mitschreiben. Den Mandanten (Verwandte) vorher informieren, daß im Falle einer bedingten
Verurteilung, diese Bedingung erst zum Schluß mitgeteilt wird. Beginnt der Richter mit “Der Beschuldigte wird ...”, fällt auch dem Anwalt eine Last von den Schultern.
Der Privatbeteiligte hat nur ein Rechtsmittel bei einem Schuldspruch und dann nur hinsichtlich der Schadenshöhe - keine Ausführungen zur Strafe!
P.S: Im Strafverfahren werden weder Kostennoten gelegt (auch nicht vom PBV), es findet auch keine Unterzeichnung des Protokolles statt.
idF 08/06/21 - - www.konzipient.com - www.konzipient.at © Mag. Clemens Binder-Krieglstein |